„Wir texten“ : Einfache Gedichte aus der Feder von Kindern mit Sprachproblemen

Dieser Fachartikel wurde in „Praxis Sprache“, Fachzeitschrift für Sprachheilpädagogik, Sprachtherapie und Sprachförderung 2017 (62) 1, S. 52-55 veröffentlicht.

Unsere Schülerinnen und Schüler im Primaralter zeigen sich kreativ, haben Fantasie und können sich so manches vorstellen. Im Umgang mit Kinderliteratur sieht die Neurowissenschaftlerin Maryanne Wolf einen Weg, diese Kompetenzen zu erweitern und zu fördern: „Wir fahren vielleicht nie mit einem Heißluftballon, gewinnen nie ein Rennen mit einem Hasen und tanzen nie mit einem Prinzen, bis es Mitternacht schlägt, aber Geschichten in Büchern erzählen uns, wie sich dies anfühlt“ (Wolf 2009, S. 103). Hier ist die rezipierende Seite im ästhetischen Bildungsprozess angesprochen. Was aber können wir im schulischen Bereich anbieten, um die produktive Seite, das eigene Formulieren – mündlich wie schriftlich – in einfachen Formen zu fördern? Im Folgenden sollen Hilfestellungen für das Verschriftlichen eigener Ideen in schlicht strukturierten Gedichten vorgestellt werden als ein Baustein emergenter Literalität und zugleich Sprach- und Sprechförderung. Diese Vorschläge gilt es im Einzelfall auf Evidenz zu prüfen.

Kompetenzorientierter Anfangsunterricht in ästhetischer Erziehung

Ist das Elementaralter gekennzeichnet durch „konzeptionelle Mündlichkeit“, quasi durch die „Sprache der Nähe“ (Wildemann & Vach 2013, S. 34), geht es im kompetenzorientierten sprachlichen Unterricht ab der Primarstufe unter anderem um Gesprächserziehung und Schriftsprachlichkeit in der so genannten Bildungssprache; auch im Hinblick auf literarische Texte. Zu den Vorläufer-Erfahrungen literarischen Lernens zählen Bilder- und Kinderbücher, Hörspiele und -bücher, Lieder, Klatschverse und Kindergedichte; letztere vorwiegend mit Paarreimen. Hier knüpft der schulische Anfangsunterricht ästhetischer Erziehung mit einfachen literarischen Texten an. Lypp hat den Begriff der Einfachheit in die Kinder- und Jugendliteraturtheorie eingebracht: Einfach ist der Text, „der durch eine begrenzte Zahl elementar-poetischer Mittel strukturiert ist und auf diesem Weg Themen … in vereinfachter Form darbietet“ (Lypp 2006, S. 93).

„Einfach“ meint im vorliegenden Kontext einerseits eindeutige, ganz konkrete Textaussagen – ohne Ambiguitäten, ohne Varianz bezüglich des Verstehensspielraums – , sodass der Sinnbildungsprozess eng an das wörtlich zu Verstehende gebunden ist (Bartnitzky 2014, S. 141; Wildemann & Vach 2013, S. 38). „Einfach“ meint andererseits eine schlichte Struktur, die von den Schülerinnen und Schülern (SuS) gut nachvollziehbar und in Parallelismen nachkonstruiert werden kann (Gmachl 2014; Bredel & Pieper 2015), sodass besonders SuS mit Sprachproblemen ihre Gedanken beispielsweise in die ästhetische Form eines Gedichtes einfließen lassen können.

Denn bei unseren SuS mit Sprachförderbedarf mangelt es nicht an Fantasie und Ideenreichtum. Haben sie Probleme auf morphologisch-syntaktischer und semantisch-lexikalischer Ebene, dann fehlen ihnen wichtige Determinanten der Erzählfähigkeit wie zeitlich oder logisch korrekte Abfolgen, Beschreibungen von Emotionen und im Hinblick auf Satzstrukturen unter anderem das Bilden von Nebensätzen oder das Verbalisieren von inhaltlichen Beziehungen. Sie haben oft Probleme mit der Struktur einer zu erzählenden Geschichte – mit inhaltlichen Zusammenhängen (Kohärenz) und/ oder mit den inhaltlichen Verknüpfungen verschiedener Textelemente (Kohäsion) (Spruit 2015, S. 36). In diesen Fällen stellen monologische Formate eine zu große Hürde dar. Deshalb gilt es zunächst, einfache sprachliche Strukturen anzubieten und nachbilden zu lassen, mit denen sie ihre Textaussagen zum Ausdruck bringen können. Für eine derartige Annäherung an poetisch-literarästhetische Gestaltungsweisen eignen sich Gedichtformen, die leicht verständliche strukturelle Mittel benutzen wie Elfchen, ungereimte Mehrzeiler mit Wortwiederholungen, Haikus, Limericks und Akrostichons. In solchen Formaten wird alltagsweltliche Sprechweise so modelliert, dass sie zur Verschriftlichung literarischer Gestaltung taugt (Haueis 2015, S. 14-25), was nicht zur Trivialisierung der Lektüre führt (ebd. S. 24).

Das Zielverhalten ist die Kompetenz einer Ideenmanifestierung in Schriftsprache, die kreatives Sprach-Schaffen in einfachen, bildungssprachlich bedeutungsvollen Texten fördert. „Schreibkompetenz“ (nach Dahmen 2007, S. 4) bedeutet in diesem Kontext von Gedichtproduktion, dass zu einem vorgegebenen Thema exemplarisch besprochene Schreibmuster aufgegriffen werden können.

Didaktische Überlegungen zum Gedicht als Schreibaufgabe

„Beim generativen Schreiben produzieren die Kinder auf der Basis vorgegebener Muster eigene Texte“ (Hahnemann & Philippi 2013, S. 127); gleichsam ein mimetisches Schreiben nach festen Regeln als verstehende Annäherung oder Einsicht in Strukturen (Bredel & Pieper 2015, S. 227-228). Beispielsweise kann als Vorgabe-Reim (Zeile 1) stehen mit zu erzeugenden Parallelismen (Zeilen 2, 3):

„Der Frosch hat rote Hosen an, damit er besser springen kann.
Die Maus trägt gelbe Gummuischuh`, dann lässt der Uhu sie in Ruh`.
Die Katz` frisst Chips mit Apfelbrei, damit sie laut im Maunzen sei.“
(Jackel 2001, S. 37; 2016, S. 28).

Trotz ihrer ungewöhnlichen sprachlichen Gestaltungsweise können auch Gedichte als medial schriftliche Texte Gegenstand generativen Schreibens sein. Dabei werden anfangs Thema und Struktur immer vorgegeben und besprochen. Sie sind wichtige richtungweisende Orientierungshilfen für das eigene Gestalten und stellen kognitive „Entlastungsmöglichkeiten“ dar, sodass für kreative Ideen „mehr Energie bereitsteht“ (Knapp 2011, S. 221). So kann ein Verinnerlichen des Bauplanes der Ausgangslektüre Ressourcen freisetzen für den Output kreativer Gedanken und damit den Schreibprozess stützen (vgl. auch Fix 2008, S. 106).

Musterlernen im grammatikalischen Bereich in Form mechanischer Analogiebildung von Sätzen gilt als wenig hilfreich, weil man unendlich viele solcher analogen Sätze nach gleichem Muster bilden kann auch ohne die zugrunde liegende Grammatikstruktur erfasst zu haben. Das trifft ebenso bezüglich der Strukturen einfacher Gedichte zu, die „be-übt“ werden sollen. Auch hier muss zuerst das Prinzip der jeweiligen Struktur kognitiv erfasst werden (z.B. Elfchen mit Wörterzählen: 1 – 2 – 3 – 4 – 1 Wörter pro Zeile) im Sinne einer „Inputspezifizierung“ (Siegmüller 2016, S. 35); hier als Musterkenntnis / als Erkennen der formal-ästhetischen Dimension, die dann in den von den Schülerinnen und Schülern formulierten Parallelismen bewusst selbst strukturbildend eingesetzt wird. Solches stärkt das poetisch-literarästhetische Bewusstsein. Die selbst getexteten Vorgabe-Gedichte der Lehrkraft oder solche aus bereitgestelltem Beispielmaterial aus der Literatur (z. B. Helge May) dienen neben den Musterplänen aus Wörter-/ Silben-/ Zeilenzählen als zusätzliche, anschauliche Konstruktions- und Verstehenshilfen im Sinne eines Scaffolding (= ein Baugerüst bereitstellen), wie es aus der angelsächsischen Forschung bekannt ist (u. a. Kniffka 2010), und sie ermöglichen den Erwerb prototypischer Vorstellungen.

Diese Formorientierung gibt dem Schreiben einen strukturierten Rahmen; gleichgewichtig aber ist die inhaltlich-kreative Aussage zu einem Thema. Denn diese Kreativität bildet die Grundvoraussetzung für die Schreibidee und ihre Umsetzung. Kreatives Schreiben ist heutzutage angesagt (Spinner 2001), unter dem das poetische/ literarische Schreiben mit seiner Möglichkeit der persönlichen Expression subsumiert ist. Einen weiteren Schwerpunkt bildet die Kompetenz des Vortragens in korrektem und flüssigem Sprechen, was besonders Kindern mit Sprechproblemen hilft, ihre Aussprache zu verbessern.

Der Weg prozess-, produkt- und kommunikationsorientierter Schreibdidaktik verläuft hier vom Verschriftlichen gehörter gereimter Texte, vom Ergänzen und Erstellen gereimter Zeilen (mit Paar- und Endreimstellung) über Gedichte mit einfachen Strukturen hin zu freien Reimen als didaktischer Weg einer operativen Methode, bei der authentische Texte entstehen: planen anhand von Thema- und Mustervorgabe – formulieren in Einzel- oder Partnerarbeit – vortragen und besprechen der Texte in der Lerngruppe – überarbeiten der Texte – Schreibmotivation erzeugen„Lust auf mehr Texte“ realisieren (u. a. Bredel & Pieper 2015, S. 229) und die Resultate anderen vorstellen, beispielsweise als Teil einer Schreibwerkstatt (Bartnitzky 2014, S. 105-106), in einem lerngruppenübergreifenden Schulprojekt oder als Gedichtband in Ringbindung für die Hand bestimmter Zielgruppen (Gmachl 2014, S. 55-56).

Von authentischen Gedichten und persönlicher Deutungshoheit

Die Schriftlichkeitsforschung hat auf die besondere Bedeutung des Lesens narrativer und fiktiver Texte aufmerksam gemacht (u. a. Hurrelmann, B. & Elias, S. 1998, S. 3). Demnach befördern Erzählungen sprachliche, kognitive, emotionale und soziale Lernprozesse. Es stellt sich in unserem Zusammenhang die Frage, welche Bedeutung dem ästhetischen Text aus eigener Feder im Lernprozess bei der Schriftsprachlichkeit zukommt. Auch poetische Texte in Gedichtform haben – ebenso wie narrative (siehe Einleitung: Tanz mit einem Prinzen bis es Mitternacht schlägt; Wolf 2009, S. 103) – einen Stellenwert durch ihre besonderen Möglichkeiten des Umgangs mit Erfahrungen, diversen Situationen und Handlungsvarianten; zudem fördern sie das Vorstellungsvermögen der SuS.

Gedichte zu rezipieren sowie zu produzieren sind literale Tätigkeiten. Seit der kommunikativen Wende der 1970er Jahre ist das Leitbild nicht mehr ein „verehrender Dichtungskenner“ (siehe Verehrungsdidaktik; Bartnitzky 2014, S. 138), sondern eine emanzipiert-lesende wie auch eigenaktiv schreibende Person, die ihre Erfahrungen, Gefühle und Denkweisen in die Gestaltung und die Interpretation der von ihr geschriebenen poetischen Texte einbringt (subjektive und kognitive Textfunktion) und auch anderen etwas mitteilen will (kommunikative Textfunktion).

Die SuS finden es toll, wenn alle ihre Gedanken „erlaubt“ sind und keine Zensur durch ihre Lehrkraft erfolgt. Nur dann entsteht eine lebendige Lektüre aus der Erlebniswelt unserer SuS statt eines Bedienens von Lehrkräfteinteressen und Klischeevorstellungen (siehe Heile-Welt-Elfchen: Weihnachten/ keine Schule/ Oma kommt heute/ wir spielen alle zusammen/ Ferien).

Diese eigenaktiv-subjektive Erstellung poetischer Texte nach dem Motto: „Wir spinnen einen Text weiter“ und „wir spinnen unseren eigenen Text“ als ein Verbalisieren persönlicher Vorstellungsbilder und Sichtweisen befördert eine textsortenspezifische Kompetenz – in diesem Fall das Formulieren von Gedichten nach einfachen Mustern mit inhaltlicher Deutungshoheit, die beim Schreibenden verortet ist.

Ob Sinn entsteht beim Hören von Gedichten der anderen und welcher bei jedem einzelnen Kind der Lerngruppe zustande kommt, „lässt sich kommunikativ im Gespräch dialogisch vergewissern“ (Geißner 2000, S. 119). Solches ist von der Primarstufe an zu trainieren mittels bestimmter Grundfähigkeiten der Gesprächsführung wie „zuhören, nachfragen, Unklares finden und klären“ (Henkes 2001, S. 168). Derartiges Vorgehen hat nicht nur beim Umgang mit polyvalenten Texten Berechtigung, sondern auch bei (scheinbar) Einfachem. Beispiele misslungener Sinnfindung sind Lehrkräften aus ihrem Praxisalltag gut bekannt wie unhinterfragtes Plappern sinnloser Satzfragmente wie im Weihnachtslied „Alle Jahre wieder … kehrt mit seinem Besen“ [statt „Segen“] oder „Indianer und Präriewürfel“ [statt „-büffel“]. Denn das Gehirn sucht immer nach einer für seinen derzeitigen kognitiven Stand stimmigen Erklärung, wenn SuS nicht gewohnt sind, für sie Unklares zu hinterfragen.

Vom operativen Weg: Vorläuferfähigkeiten und Strukturbausteine

Folgt man dem Prinzip „vom Leichteren zum Schwierigeren“, steht am Anfang als Vorläuferfähigkeit die Reimfindung; zunächst das Bilden eines Paarreim-Wortes in einem vorgegebenen Vers (Schreiber-Wicke & Holland, o. J.). Dabei muss ein Laut aus einem Wort segmentiert und durch einen anderen ersetzt werden, sodass das neue Wort im Kontext einen Sinn ergibt. Als ein ebenso elementar-poetisches Gedichtformat gilt das Elfchen mit seinen zu zählenden Wörtern, welches seit mehr als 25 Jahren seinen festen Platz im Primarbereich hat (Schulz 1997, Spinner 1998).

Hören auf den Rhythmus, das bei Kinderreimen/ Rhythmikliedern gefragt ist, fördert auch Silbenzählen beim Dichten. Zur Entfaltung dieser sprachanalytischen Fähigkeit des Segmentierens von Silben aus Wörtern kann es bei SuS mit Sprachproblemen notwendig sein, dass ein kleinschrittiges Üben aus zeitgleich beziehungsweise stufenweise zugeschalteten Elementen aus rhythmischem Schreiten + Singen/ Sprechen des Textes + Klatschen/ Klopfen im Silbentakt erforderlich ist; beispielsweise an Schreitspielen wie „Ein Hut, ein Stock, ein Re – gen – schirm ...“ oder an Klatschversen wie „Bei Mül – lers hat`s ge – brannt, da kam ich an – ge – rannt ...“ oder an Kinderliedern mit rhythmischer Klatschbegleitung (Jackel 2016, S. 28-29). Silbenrhythmus/ Silbenausprägung als Grundstruktur muss als Vorläuferfähigkeit für ein gelingendes Erstellen bei Limericks und den japanischen Haikus verinnerlicht sein. Und umgekehrt hilft ein Üben an der Silbenausprägung beispielsweise auch bei Schülerinnen und Schülern mit Poltern, wenn bei ihnen im Sprechen und Schreiben Fehler in den Wortstrukturen vorkommen (Spruit 2015, S. 59); auch anhand von Elfchen und Haikus. Limericks erfordern zudem Reimsensitivität.

Bei den Fünfzeilern müssen weder Wörter noch Silben gezählt werden; hier sind einfache Aussagesätze zu bilden. Zudem ermöglichen sie Differenzerfahrungen durch die Strukturabweichung in der letzten Zeile. Bei den griechischen Akrostichons geht es auch um Aussagesätze. Die Schwierigkeit besteht hier in dem vorgegebenen Bezugswort, das für jeden Satz einen Vorgabe-Buchstaben bereithält. Alle diese Gedichtformen heben auf Wörter beziehungsweise ganz kurze Aussagesätze ab, die in einem Sinnzusammenhang miteinander stehen. Diese Gedichtstrukturen sind leicht durchschaubar. Sie regen zu kreativer Nachbildung an. Bei den von der Lehrkraft erstellten Vorgabe-Texten (Gruppe 1) wie auch bei denen, die aus der Literatur zusammengestellt wurden (Gruppe 2), entsprechen die inhaltlichen Aussagen den sprachlichen Fähigkeiten unserer SuS mit Förderbedarf.

Gruppe 1: von einer Lehrkraft als Vorgabe-Texte erstellt
(Texte der Autorin/ Lehrerin)

1.1 Elfchen
(11 Wörter in 5 Zeilen, die in einem Sinnzusammenhang stehen, wobei am Textanfang ein Substantiv steht und jede Zeile eine Sinneinheit bildet; Wörter pro Zeile: 1 – 2 – 3 – 4 – 1):

Schwimmbad
im Wasser
auf der Rutsche
Wasser in der Nase
Kopfsprung.

1.2 Fünfzeiler
(4 Aussagesätze mit Wortwiederholungen und einer „Aber“-Zeile):

Frösche sitzen im Teich.
Vögel sitzen auf Bäumen.
Fliegen sitzen auf Marmelade-Broten.
Kamele sitzen auf Wüstensand.
Aber Menschen sitzen überall.

Hexen
Hexen reiten auf Besen.
Hexen sprechen Zaubersprüche.
Hexen haben einen Raben oder eine Katze.
Hexen sind ein bisschen unheimlich.
Aber Hexen gibt es eigentlich gar nicht – oder doch?

1.3 Limerick
(Fünfzeiler mit Endreimen in den Zeilen 1, 2 und 5; in den Zeilen 2 und 4 mit einem anderen Paarreim):

Nudeln mit Soße
geht auf die Hose.
Tischtuch versaut –
Mutter schimpft laut.
Ich schenk` ihr `ne Rose.

1.4 Haiku
(Dreizeiler mit 5 Silben/ 7 Silben/ 5 Silben pro Zeile):
Ich mag ger – ne Eis.
Ich mag im Som – mer viel Eis.
Ich mag ein Kirsch – eis.

1.5 Akrostichon
(das Bezugswort steht senkrecht; zu jedem Buchstaben wird ein inhaltlich passender Aussagesatz gebildet):
Bezugswort: WINTER
W – Wir rutschen auf dem Eis.
I – Im Zimmer ist es warm.
N – Nur am Holzofen wird es heiß.
T – Tim und Emre bauen mit Legosteinen eine Burg.
E – Es schneit auch mal.
R – Rodeln ist besonders schön.

Bezugswort: SCHULE
SCH – SCHnell rennen wir auf den Pausenhof
U – und an die Kletterwand.
L – Leo spielt mit den Viertklässlern Fußball.
E – Ein Reifen fliegt in den Baum: Pech gehabt.

Gruppe 2: Vorgabe-Texte aus der Literatur
2.1 Vorläuferfähigkeit: eine Reimergänzung finden

„Die Fledermaus scheut Sonnenlicht,
drum sieht man sie bei Tag auch ...“

„Die Ratte fragt sich sicherlich:
Was haben Menschen gegen …?“
(Schreiber-Wicke, E. & Holland, C. o. J.)

2.2 Fünfzeiler:
„Clowns sind lustig
Clowns unterhalten uns
Clowns bringen uns zum Lachen
Clowns sind bunt
aber sie können auch weinen.“
(Gmachl 2014)

2.3 Limericks:
„Da gab`s einen Bäcker in Kassel,
der hörte des Nachts ein Gerassel.
Er durchsuchte das Haus
und fand eine Maus.
Seitdem gibt es Katzen in Kassel.“
(Kaléko 1971)

„Es lebte ein Mädchen in Nizza,
die [das] aß nie was andres als Pizza.
Zum Frühstück sogar
sagt sie: „Wunderbar!
Nutella mit Pizza schmeckt spitza!“
(May 1998)

2.4 Haiku (mit Reimversuch)
Ein Floh hüpft ins Stroh.
Es pikst ihn was in den Po.
Er denkt: Pikst Stroh so?
(nach einer Idee von Refisch 2010)

Gruppe 3: Beispiele für Parallelismen der Kinder (orthografisch geglättet)
3.1 Elfchen:
„Pommes
kaufen, essen
lang und dünn
mit Mayo oder Ketchup
fettig“
(4. Jahrgangsstufe)

3.2 Fünfzeiler:
„Prinzessinnen sind schön
Prinzessinnen haben viel Geld
Prinzessinnen haben ein Schloss
Prinzessinnen haben schöne Zimmer
aber sie haben oft keine Liebe.“
(3. Jahrgangsstufe; aus: Gmachl 2014)

3.4 Haiku:
„Ich schwim – me ger – ne.
Ich schwim – me ger – ne im See.
Dann bin ich patsch – nass.“
(6. Jahrgangsstufe)

Schlussbemerkungen

Ob es den Schülerinnen und Schülern schwerer fällt, Silben zu zählen, Endreime zu finden oder Aussagesätze in einem Sinnbezug zu bilden, zeigt sich im Einzelfall und ist maßgeblich abhängig vom jeweiligen Sprachentwicklungsstand. Dass ein ungereimter Fünfzeiler mit der „Aber“-Zeile ein besonders beliebtes und von den Kindern leicht umzusetzendes Schreibmuster darstellt, wie es Gmachl (2014) erprobt hat, lässt sich im Schulalltag allgemein bestätigen. Alle Gedichtformen mit einfacher Struktur leisten einen wertvollen Beitrag sowohl bezüglich Auf- und Ausbau sprachlicher als auch zugleich literaturästhetischer Handlungsfähigkeit im Sinne einer integrativen Deutschdidaktik nach Bredel und Pieper (2015), indem sie einen wichtigen Teilbereich der Schriftsprachlichkeit und zugleich Fähigkeiten des Literacy-Konzeptes abbilden. Hinzu kommt die Freude, welche die SuS beim eigenen Texten zeigen, und die sie zu weiteren eigenständigen poetischen Gestaltungen motiviert. Ob allerdings die Textproduktionsentwicklung abhängig oder unabhängig von derart erworbenen Textmustern verläuft, ist bislang kaum wissenschaftlich eruiert; so Bredel und Pieper (2015, S. 237). Allerdings „zeichnet sich ab, dass eine lehrerseitige Unterstützung … [jene] voranbringen kann“ (ebd. S. 239). Also: Nutzen wir diese Chance in unserer unterrichtspraktischen Arbeit!

Literatur

B

Bartnitzky, H. (201417). Sprachunterricht heute. Berlin: Cornelsen.

Bredel, U. & Pieper, I. (2015). Integrative Deutschdidaktik. Paderborn: Schöningh.

D

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F

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G

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M

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R

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S

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W

Wildemann, A. & Vach, K. (2013). Deutsch unterrichten in der Grundschule. Kompetenzen fördern, Lernumgebungen gestalten. Seelze: Kallmeyer in Verbindung mit Klett.

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